Fisch aus der Tüte

Urplötzlich Müllstößt sie zu. Die Zinken durchbohren ihn. Sie spießt ihn auf. Langsam gelangt sie zum Schlund. Er landet im Dunkel und die Zähne zermalmen ihn immer und immer wieder.

Tom legt die Gabel weg, schluckt den Rest seinen Fisch hinunter und trinkt einen Schluck Cola. Der junge Mann hat soeben unwissentlich mit dem Fisch Gift geschluckt.

Plastik müllt mehr und mehr unsere Meere und Gewässer zu. Robben und Delfine verenden qualvoll, wenn sie in alten Fischernetzen oder Getränkekisten stecken bleiben, Vögel verhungern mit vollem Magen, nachdem sie eine Plastikmahlzeit zu sich genommen haben und Meeresschildkröten verwechseln Plastiktüten mit Quallen – ihrer Leibspeise.
Doch ein anderes Problem landet bei uns auf dem Teller: Mikroplastik. Es handelt sich um Plastik, welches durch Wellenbewegungen und UV-Licht nach und nach auf weniger als 5mm zerkleinert wurde, sodass es mit bloßem Auge gar nicht mehr zu sehen ist. Doch damit hat es sich keineswegs in Luft aufgelöst, so Kim Detloff zum Focus: „Die Partikel ziehen im Wasser gelöste Gifte an wie ein Magnet[1].“ Denn giftige Stoffe, wie z. B. das Insektizid DDT oder das krebserregende PCB, verbinden sich mit der Oberfläche des Plastiks und schwimmen mit diesem hoch konzentriert durch das Weltmeer.
Dieses Plastik-Gift-Gemisch fressen Fische und andere Meeresbewohner, denn sie können das Mikroplastik nicht vom Plankton –ihrer eigentlichen Nahrung- unterscheiden. Aber auch die Nahrung der Fische kann vergiftet sein: Plankton selber nimmt kleines Mikroplastik –und damit das Toxikum – auf.

Letztendlich aber landen die toxischen Stoffe auf unserem Teller – denn wir Menschen stehen am Ende der Nahrungskette.[2]

Tom allerdings merkt noch nichts von seinem unheilvollen Essen, sondern beendet das gemeinsame Picknick im Grünen mit seiner Freundin. Die beiden rollen ihre Decke zusammen, betrachten noch einmal den ruhigen Fluss, an dem sie eine Rast gemacht haben und packen die Essensreste in ihren Korb. Der Grill wird ausgemacht, die Kohle, genau wie der restliche Müll, einfach liegen gelassen. Während die beiden in Toms Cabrio einsteigen und nach Hause brausen, räumt der Wind hinter ihnen auf: Würstchenverpackungen, PET-Flaschen, mehrere Plastiktüten, in denen die Einkäufe verstaut waren, u.v.m. wird in den kleinen Fluss geweht; Tage, vielleicht auch Wochen später, kommen die Abfälle in der größten Müllkippe an: dem Meer.

(Plastik-)Müll befindet sich größten Teils wegen des hohen Tourismus an Stränden, den Flüssen, die Müll anschwemmen, und Mülldeponien, die an Gewässern liegen, im Meer. Ladungsverluste von Schiffen sind eher die Ausnahme. Erwähnenswert sind höchstens der Hansa Carrier, welcher am 27. Mai 1990 über 60.000 Turnschuhe im Meer versenkt hat und der Tokio Express, der auf derselben Strecke 29.000 bunte Spielzeugtiere verloren hat[3].

Wie viel Plastik genau im Meer schwimmt, weiß wohl keiner. Der NABU geht von 20 Tsd. Tonnen allein in der Nordsee aus[4], das Umweltprogramm der USA hat vor 37 Jahren den Müll, der jährlich in den Ozeanen landet, auf 6,4 Millionen Tonnen[5] geschätzt, hat aber nur den kleinsten Teil, nämlich den, der von Schiffen verloren wird, berechnet[6].

Mit schreckverzehrtem Gesicht liest Tom die Diagnose, die er soeben bekommen hat. Die Sätze verschwimmen in einem Strudel als Tom auf den Boden sinkt. Bei einer ganz normalen Untersuchung ist es festgestellt worden. Völlig unerwartet. Tom ist immer noch zu perplex um sich all die Auswirkungen aus zu malen, aber eins ist klar: Krebs ist diagnostiziert worden.

Ob und in wie vielen Fällen vergifteter Fisch Krebs verursacht, kann heute niemand sagen. Allerdings kommt zu den toxischen Stoffen, die das Plastik auf seiner Reise durchs Meer sammelt, noch weitere Giftstoffe hinzu: So z. B. verschiedene Styrol-Verbindungen, da sie beim Zersetzungsprozess des Plastiks zu Mikroplastik entweichen. Diese Styrol-Verbindungen stehen im Verdacht Krebs hervorzurufen. Auch der Weichmacher BisphenolA, der Auswirkungen auf die männliche Fruchtbarkeit haben kann, entweicht bei diesem Prozess.

Eine weitere Folge des Plastiks könnte sein, dass der Sauerstoffanteil im Meer stark sinkt, da durch eine zu dicke Plastikschicht kein Sonnenlicht bis zum Plankton durchdringt: „Pflanzliches Plankton erzeugt mehr als 50 Prozent des weltweit produzierten Sauerstoffs“, hat Silvia Frey dem Focus[7] erklärt, „Fehlt das notwendige Licht für die Fotosynthese, dann ist die Produktion nicht mehr möglich.“

Doch es gibt auch Lichtblicke, für den „Kunststoff-Ozean“: Tom hat sich entschieden, nie mehr Müll einfach liegen zu lassen und auch beim Strandurlaub will er die Schwimmflügel seines Sohnes wieder mitnehmen, den kaputten Bagger in den Abfalleimer werfen und die wasserdurchlässige Luftmatratze nicht einfach im Meer treiben lassen.

Wenn mehr Menschen so denken würden, gelänge bestimmt nicht mehr so viel Plastik in die Meere. Das im Meer vorhandene Plastik wieder herauszuholen, halten Experten für unmöglich, so die Zeit[8], trotzdem gibt es mehrere Projekte dafür:

So hat der gemeinnützige Verein „One Earth – One Ocean“ eine zugleich humanitäre als auch kommerzielle Idee: Schiffe sollen demnächst größere Plastikstücke (> 1cm) aus dem Meer fischen und noch an Bord zu schwefelfreiem Leichtöl verarbeiten, so könnten „Tankstellen“ für andere Schiffe mitten auf dem Meer entstehen. Um die 800-900L Öl aus einer Tonne Plastik herzustellen, wird dieses auf 400 °C erhitzt und wieder besonders abgekühlt.[9]

Die Regierung hat sich in den Müll-Skandal auch eingemischt: Jeder Hafen muss den Schiffen kostenlose Müllentsorgung anbieten. Im Hafen von Livorno geht die NGO sogar soweit, Fischern Plastik wieder abzukaufen. Bußgelder, die bei Verstößen gegen das Übereinkommen „zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe“ verhängt werden, können bis zu 50.000 Euro betragen.[10]

Für Tom ist eines klar: Er wird sich gegen die Vermüllung der Meere einsetzen, damit seine Kinder und Enkel beim Picknick Fisch ohne Plastik genießen können.

Niklas van de Sand


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